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Der in Erd- und Sandtönen gestrichene Panzer rückte vor, um den See zu umrunden. Er hinterließ tiefe Spuren im Staub.
Ein paar Infanteristen folgten dem verschrammten Kettenfahrzeug. Es bot die einzige Deckung weit und breit.
Jetzt musste es schnell gehen, die Sonne stand hoch am Himmel. Sie alle befanden sich hier auf dem Präsentierteller.
Plötzlich stieß eine „Lightning” mit kreischenden Motoren auf sie herab. Die Maschinengewehre ratterten. Geschossgarben peitschten den Staub am Uferrand auf, durchpflügten den See. Ein Volltreffer. Die meisten Soldaten lagen am Boden.
Ein sirrender, schriller Ton erklang. Er hielt eine Weile an um dann abrupt abzubrechen.
Der Junge legte das Flugzeugmodell und die Kiesel, die ihm als Waffe dienten, neben sich auf einen Stein. Er hockte sich an die Pfütze, um einige der Soldatenfiguren wieder aufzustellen. Dabei beobachtete er angestrengt den Waldrand. Er horchte. Die Sonne blendete ihn, eine lästige Haarsträhne kitzelte seine Wange.
Gerade als er sich aufrichtete, um seine „Lightning” zu holen, ertönte das unnatürliche Geräusch erneut.
Diesmal klang es deutlich näher und lauter als zuvor. Eine Gestalt brach stolpernd aus dem Gebüsch am Waldrand hervor. Sie stoppte und stand schwankend im vollen Sonnenlicht der Lichtung.
Der Junge erstarrte. Er konnte nirgendwo hin. Die Gestalt sah aus wie ein großer Mann in einem schwarzen Taucheranzug. An ihrem rechten Arm trug sie eine Manschette, an der ein Gerät befestigt war, aus dem ein etwa fünfzig Zentimeter langes Rohr ragte. Es schien ein Eigenleben zu besitzen, denn es zuckte hin und her. Der schwarze Mann schwankte mittlerweile bedrohlich, fast wäre er umgefallen. Dort, wo sich dass Gesicht befinden sollte war nichts zu sehen außer schwarzer, schuppiger Haut. Trotzdem fühlte der Junge den Blick des Fremden. Der Fremde war verletzt, seine linke Kopfhälfte eingedrückt.
Der Junge hätte am liebsten geschrien, wäre los gerannt, so schnell er konnte, doch er wusste instinktiv , dass das bedrohliche Armgerät auf ihn gerichtet bleiben würde, egal wie schnell er wäre.
Das Wesen verschwand. Man sah nur Blätter und Sand. Es tauchte wieder auf. Verschwand von neuem. Blätter im Sommerwind. Nur wenn man genau hinsah, ahnte man die Umrisse einer großen Gestalt. Ein Chamäleonanzug.
Der Junge kannte sich aus.
Als sie vor zwei Jahren den Strom im Dorf wieder angeschaltet hatten, hatte Papa einen Metallkasten vom Speicher geholt, in dem man CDs abspielen konnte und den Monitor im Wohnzimmer, der dort seit er sich erinnern konnte nutzlos herumstand, wieder zum Leben erweckt.
Seither sah er sooft er durfte all diese Filme, die in Städten spielten, die es so nicht mehr gab oder in Welten, die es noch nicht gab.
Er liebte Science Fiction und Kriegsfilme, spielte sie nach, träumte davon, selbst ein Feldherr zu sein, Anführer großer Flotten im unendlichen All...
Der Fremde war umgefallen. Nach hinten gekippt wie ein gefällter Baum.Seine Waffe zuckte hilflos, bedrohte den Himmel und die Wolken und den kleinen silbernen Flieger ganz hoch oben. Sand und Steine, der schwarze Mann, Sand, Mann. Der gruselige Schrei, der diesmal klagend, ja flehentlich klang. Dann nichts mehr. War er Tod?
So groß die Angst des Jungen auch war, so groß war auch seine Neugier. Langsam und ganz sachte näherte er sich der am Boden liegenden Gestalt. Begleitet von leisen Klickgeräuschen löste sich die Manschette und die Waffe fiel ab.
Der Fremde lag reglos. Vor dem hellen Sandboden erschien die schwarze Figur wie ein menschenförmiges, tiefes Loch. Der deformierte Kopf wandte das Gesicht vom Jungen ab. Das war ihm nur recht. Ganz sanft berührte er den geschuppten Anzug am linken Arm. Er fühlte sich wie die Haut einer Schlange an, überraschend warm und glatt.
Der Mann musste tot sein. War es ein Mann? Er sah wie eine furchtbare Puppe aus. Konnte es überhaupt ein Lebewesen sein?
Der Junge nahm die Waffe, das Gewehr wie er es für sich nannte, in die Hand. Es war leicht, aber nicht aus Plastik, eher aus Keramik oder so.
Er legte an, sagte »Päng«. Da traf ihn ein ekliger Schmerz, der in seinem Kopf explodierte. Die Manschette schnappte zu und schloss sich um den Arm des Jungen. Er schrie vor Überraschung, versuchte das Gerät abzuschütteln. Es saß fest. Der Junge spürte, wie etwas in seinen Arm eindrang, spitze, krabbelnde Dinge. Der Schmerz in seinem Kopf steigerte sich ins Unerträgliche. »Ich muss Heim«, dachte er, »nichts wie weg hier«. Er suchte sein Spielzeug, sah das Flugzeug auf dem Stein. Sah es plötzlich ganz nah. So nah, dass er erkennen konnte, dass er schlampig bei der Montage des alten Modellbausatzes gearbeitete hatte. Der Kleber quoll aus den Ritzen, winzige Klebetropfen glitzerten in der Sonne. Der Junge fühlte den Druck steigen, die Angst...
Ein Geräusch erklang, ein hohles Plopp, als zöge man den Korken aus einer Flasche, nur lauter.
Der Stein, die darauf liegende „Lightning” verschwand. Es blieb nur rotglühende Schlacke und beißender Qualm. Der Druck im Kopf des Jungen ließ ein wenig nach.
Er lief und lief. So schnell er konnte, bis Seitenstechen und Atemnot ihn peinigten. Den rechten Arm mit dem tödlichen Ding, das nicht abgehen wollte, hielt er hinter sich gestreckt, als gehöre der Arm nicht zu ihm. Da sah er endlich das Dorf in der Senke liegen, friedlich vor den grünen Hügeln. Er legte einen Zahn zu. Er rief und schrie, irgendetwas, sah kleine Menschen aus den Häusern kommen und auf ihn zugehen. Da war Papa im Garten. Ganz klein. Dann so nah. Die Lachfalten um seine graublauen Augen, der graue Stoppelbart, jede Pore seiner Haut...
Der Druck nahm zu.
Dann wurde alles schwarz.

Als der Junge wieder erwachte, lag er im Wohnzimmer auf der Couch. Das freundliche Gesicht von Dr. Machmood, den neuen Dorfarzt, blickte auf ihn herab. Papa stand neben ihm. Mama hielt seine Hand. Das Ding war weg. Sein Arm war frisch verbunden, die Bandage leuchtete weiß im Halbdunkel des Zimmers. Vor dem Fenster standen große Jeeps in Tarnfarbe.
Der Junge sah Männer in der angrenzenden Küche. Sie alle trugen Uniformen. Funkgeräte krächzten.
Ein Soldat trat in die Tür. Er war sehr groß und hatte eine ebenholzfarbene Hautfarbe. Lange Dreadlocks ragten unter einer bestickten Kappe hervor. »Das ist Prince Makonnen mein Junge. Er ist ein General«, sagte Dr. Machmood. »Wenn es dir ein bisschen besser geht, erzählst du ihm alles über den Mann im Wald. Es ist sehr wichtig für ihn, dass du nichts auslässt«.
»Ist gut«, antwortete der Junge und fühlte sich trotz seiner immer noch starken Kopfschmerzen stark und tapfer. Papa kam zu ihm und gab ihm einen kratzigen Kuss.