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Es ist ein Versuch. Niemals wäre ich früher auf die Idee gekommen, ein Tagebuch zu führen. Dazu war mein Leben zu ereignislos, meine kleinen Sorgen zu unbedeutend. Aber ich bin unversehens in Ereignisse hineingezogen worden, die ich nicht alleine verarbeiten kann. Zu allem Übel ist es mir unmöglich, mich einem Freund oder einem der offiziellen Psychiater in den „Harmoniezentren” anzuvertrauen. Das wäre zu gefährlich. So spreche ich also mit meinem Hauscomputer und komme mir dabei ein wenig bescheuert vor. »Du kennst mich ja, ich bin sonst nicht so grüblerisch veranlagt...« O weia, ich schäme mich. Damit es nicht ganz so schlimm wird, habe ich beschlossen, alles so aufzuschreiben, als würde ich es einem Fremden erzählen. Vielleicht wird es so leichter für mich...

Es ist ein Versuch. (Ich muss das unbedingt in einer geschützten Datei unterbringen, nicht auszudenken was passiert, wenn Maja diesen Text liest).

Ich darf nicht vergessen, alles zu löschen.

Ich bin Paul. Ja, ich weiß, das ist kein besonders hübscher oder moderner Name, aber zu dem Zeitpunkt, als ich aus dem künstlichen Uterus herausgehoben, also geboren wurde, oder „entkorkt” wie man scherzhaft dazu sagt, zu dieser Zeit war man in der Registratur der Vermehrunglabors beim Buchstaben 'P' angelangt. Leider ist dieser Buchstabe nicht sonderlich tauglich, wenn es um Männernamen geht, so musste bei einem gewöhnlichen Ausstoß von 14000 Kindern pro Halbjahr (davon 7000 männlichen Geschlechts) tief in die Mottenkiste gegriffen werden, um einige halbwegs brauchbare Namen zu finden wie zum Beispiel „Phillip” und sogar „Peter”. Nun, ich bin Paul, dreißig Jahre alt, einszweiundsiebzig groß (eher klein), schmächtig ohne dürr zu wirken, vom Aussehen recht unauffällig bis auf die ein wenig zu groß geratene Nase, die mir stets einen etwas düsteren Gesichtsausdruck verleiht. Da jeder Erwachsene verpflichtet ist, Sperma oder Eizellen an die Labors abzugeben, damit dort die jeweils optimal zueinander passenden Gene gemischt werden können, kann ich niemanden direkt für den Zinken verantwortlich machen, leider. Als „Zwerg Nase” eine beliebte Zielscheibe für die Späße der anderen Kinder im Nest, zog ich mich stets zurück, wurde ein schüchterner Einzelgänger. Meine Kindheit bestand aus wegducken, vorauseilendem Gehorsam, kleinmachen. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen, sich dem Hohn der gleichförmigen, wohlgestalteten, großgewachsenen Meute ausliefern. Ich saß im Nest und beobachtete, ging danach zur Schule und sah zu. Ich ging immer den Weg des geringsten Widerstandes... War es wirklich so? Wenn ich an meine Kindheit denke, überlagern sich zwei verschiedene Erinnerungsstränge. Der Eine, der „Zwergenstrang” ist der, den ich für den realen halte. Auch jetzt als Erwachsener zeichne ich mich nicht durch besonderen Wagemut aus. Ich erfülle gerne still meine Pflichten, lebe zurückgezogen in meiner Welt. Die anderen Erinnerungen überkommen mich oft schlagartig. Ich sehe etwas, jemanden, höre ein Geräusch und ein beunruhigender Film läuft ab. Ich surfe als Zehnjähriger verbotenerweise über die Hochgeschwindigkeitswege, die dem Warenverkehr vorbehalten sind. Mit Zwölf dringe ich in das Büro des Schuldirektors ein, klaue Datenträger, lösche Beurteilungen, schlage mich sechzehnjährig mit zwei der großen, blonden Jungs hinter der Nestmensa und gewinne. Das bin wirklich ich, auch diese „Erinnerungen” wirken vollkommen real.
Ich habe ein Problem. Ehrlich gesagt leide ich an mehreren Problemen. Das erste Problem (abgesehen von dem eben erwähnten): ich bin unzufrieden. Das dürfte eigentlich nicht sein, denn ich genieße den Luxus der MET.